Ergebnisse des 5. Personalleiter-Workshops

Zurück ins Büro: Druck, Sog oder Laufen lassen?

Zurück ins Büro: Druck, Sog oder Laufen lassen?

 

Ein Überblick über die aktuelle Diskussion

Kürzlich stellte der Spiegel die Vor- und Nachteile der neuen Arbeitswelt in einem lesenswerten Artikel gegenüber.

www.spiegel.de/karriere/homeoffice-und-praesenzpflicht-zwei-chefs-diskutieren-das-pro-und-kontra-a-deeb28f3-88ba-4e0a-9d3a-7d69af0c908b

Dort diskutierten Tobias Glück (Head of People & Organisation bei Novartis) und Wolfgang Grupp (Geschäftsführer bei Trigema) miteinander. Glück plädierte bezüglich Home Office-Entscheidungen für Wahlfreiheit mit Verantwortung. „Wenn die Mitarbeiter am besten über ihren Job entscheiden können, dann auch darüber, wo sie arbeiten. Workshops oder wichtige Meetings – dafür sollte man sich vielleicht besser persönlich treffen.“ Grupp stellte dem entgegen, dass er seine Mitarbeitenden für kurzfristige Entscheidungen im Büro brauche. Die Abstimmung mit Mitarbeitern im Home Office dauere viel zu lange.  

Um die aktuelle Debatte ums Home Office zu beleuchten, lud Dr. Terhalle & Nagel Personalberatung zu einem Workshop ein mit dem Titel „Zurück ins Büro? Druck, Sog oder Laufen lassen“. Über 30 Personalleiter aus kleineren und großen mittelständischen Unternehmen diskutierten zu diesen drei Leitfragen:

Wie sorgen wir dafür,

  • dass Führungskräfte ihre Mitarbeitenden nur dann ins Büro beordern, wenn es im Interesse der Arbeitsergebnisse ist?
  • dass Mitarbeitende den Weg ins Büro auf sich nehmen, wann immer es im Interesse des Arbeitsergebnisses ist?
  • dass unter den Bedingungen hybriden Arbeitens unsere Attraktivität als Arbeitgeber noch zunimmt?

 

Aktuelle Erfahrungen

Während vielfach beobachtet wird, dass die Mitarbeiter wieder ins Büro wollen und nicht nur im Home Office arbeiten möchten, gibt es auch Unternehmen, die erleben, dass ohne Anweisung im Augenblick keiner mehr ins Büro kommt. Vielleicht ist es nach langer Zeit strikter Abstinenz hilfreich, Mitarbeiter langsam wieder daran zu gewöhnen, wieder ins Büro zurückzukommen?

Es gibt gute Gründe zu befürchten, dass ein zu großer Home Office-Anteil zu Entfremdung führen kann und die Bindung an das Unternehmen, die Identifikation nachlässt. Einige Unternehmen berichten, dass sie während Corona signifikant weniger Patentanmeldungen hatten. 

Vielleicht ist zunächst eine sprachliche Differenzierung nötig: Man arbeitet FÜR ein Unternehmen, nicht IN einem Unternehmen. Ist es nicht immer im Interesse des Arbeitsergebnisses, dass der optimale Arbeitsort gewählt wird? Muss man nicht auch respektieren, dass Menschen ganz unterschiedlich funktionieren und unterschiedliche Bedürfnisse haben? Entspricht es nicht unserem modernen Verständnis, Freiräume zu geben und Selbstbestimmung mit Selbstverantwortung zu leben?

Unternehmen wollen einerseits aus Gründen der Produktivität und andererseits zum Erhalt von Gerechtigkeit und Nachvollziehbarkeit Rahmen setzen. Wer nicht autoritär auftreten will, lässt die Führungskräfte mit ihren Teams entscheiden, wie hybrides Arbeiten gelebt wird. Dabei sollte jedem, der Verantwortung spürt und dem sein Job lieb ist, klar sein: "Wenn es der Job erfordert, musst du ins Office".

Kommen bei guten Teamkulturen nicht automatisch Alle freiwillig zusammen, weil sie den Austausch suchen? Offensichtlich nicht. 100% zurück ins Office wird es nicht mehr geben. Ein gewisser Home Office-Anteil wird also zur Selbstverständlichkeit. Warum ist das so?

 

Warum Home Office?

Hybride Modelle werden Alltag. Daran gibt es keinen Zweifel mehr. Aber was sind eigentlich die Gründe für Home Office? Aktuell ist es bei einigen sicher noch die Angst vor Ansteckung. Dann gibt es sicher auch Menschen, die die Ruhe im Home Office schätzen und das Gefühl haben, dort schlicht und einfach sehr produktiv arbeiten zu können. Für viele war es während Corona eine Erleuchtung, wie die Lebensqualität steigt, wenn man die unproduktive Pendelei zur Arbeit spart. Und ein Jahr Corona hat gezeigt, dass die Digitalisierung in vielen Fällen virtuelles Arbeiten möglich macht. Damit sind viele nun in einer Komfortzone, weil sie selbst vom Home Office durch Zeitgewinn und Bequemlichkeit profitieren, während der Verlust durch größere Distanz zu den Kollegen noch nicht und nicht immer sofort greifbar ist.

Doch selbst ehemals skeptische Führungskräfte erkennen, dass Home Office ein Win-Win sein kann. Es wird positiv gesehen, wenn der Arbeitgeber auch die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden berücksichtigt. Manche haben das Gefühl, dass durch mehr Selbstbestimmung ihre Leistungsfähigkeit und -bereitschaft gesteigert wird.

In einigen Unternehmen ist die positive Haltung gegenüber Home Office derart groß, dass Führungskräfte die Ablehnung der Anfrage nach mobilem Arbeiten sogar schriftlich begründen müssen.

 

Warum Office?

Jahrzehntelang sind wir fast alle täglich in unsere Büros gefahren, um dort unsere Arbeit zu verrichten. War das alles umsonst oder falsch? Mit Sicherheit war es einfacher, einen zuverlässigen hohen Standard für die Infrastruktur zentral herzustellen.

Etliche Manager beobachten, dass bessere Lösungen gefunden werden, wenn man zusammenkommt. Kreative Prozesse und Abstimmungen scheinen bei persönlicher Kommunikation unkomplizierter, vollständiger und nachhaltiger zu sein. Dazu passt die oben bereits erwähnte Beobachtung zur Anzahl von Patentanmeldungen. 

Ganz sicher ist, dass es jetzt wichtig ist, positive Erfahrungen der gemeinsamen Zeit im Büro zu kommunizieren und die kollegiale Beratung unter Führungskräften zu fördern. Es scheint, dass bei der großen Home Office-Euphorie die Vorteile der persönlichen Zusammenarbeit ein Stück in Vergessenheit geraten sind.

Das häufig angebrachte Argument der abnehmenden Bindung darf kein Argument sein. Man kann die Mitarbeiter nicht an die Kette legen. Die Wettbewerbsfähigkeit auch durch langfristige Zusammenarbeit zu erhalten und die Fluktuation niedrig zu halten, sind Aufgaben, die Unternehmen heute anders lösen müssen.

 

Führungsverantwortung

Es ist banal, aber Führungskräfte sind auch Menschen. Was empfinden Führungskräfte beim Anblick leerer Flure? Womöglich Verunsicherung. Deswegen ist es aktuell wichtiger denn je, dass das Einfordern von Präsenzkultur nicht dem Wunsch nach Kontrolle geschuldet ist, sondern am Interesse des Unternehmens auszurichten ist und damit eine echte Kultur- und Führungsaufgabe.

Dass beim Führen auf Distanz Vertrauenskultur und Führen über Ziele hilfreich sind, ist bekannt. Was ist im Interesse des Arbeitsergebnisses erforderlich? Wenn der Mitarbeiter das nicht selbst erkennt, muss der Vorgesetzte notfalls helfen. Wie aber geht man mit Widerstand der Mitarbeiter um?

Um den Führungskräften diese Führungsarbeit zu erleichtern und Mitarbeitern Orientierung zu geben, wollen Unternehmen Orientierungsrahmen definieren, Workshops veranstalten und Führungskräfte in „remote leadership“ schulen.

Welche Einstellung hat die Geschäftsleitung? Wie werden Führungskräfte beurteilt, die aus Sicht der Geschäftsleitung zu viel Home Office zulassen? Gelten sie als schwach? Unternehmen klagen aktuell über eine durchaus relevante Quote nicht passender Führungskräfte.

Es ist wichtig, dass Führungskräfte sich auf den Rahmen, innerhalb dem sie mit ihrem Team selbst Vereinbarungen treffen dürfen, verlassen können. Die 1:1 Beziehung von Führungskräften zu Mitarbeitenden ist bei virtueller Führung noch wichtiger. Führungskräfte müssen sich aber auch positionieren, was sie von ihrem Team erwarten. Das erfordert Standhaftigkeit, Überzeugungsfähigkeit und eine gewinnende, integrierende Persönlichkeit. Es ist sicherlich zu begrüßen, wenn Unternehmen ihre Führungskräfte darin stärken und Argumentationshilfen geben. 

 

Die Kernunsicherheit: Produktivität

Wenn heute viel über die Fokussierung auf Arbeitsergebnisse gesprochen wird, so sollte nicht die Bedeutung von Kultur und dem täglichen Miteinander vergessen werden. Vertrauen reduziert Komplexität. Vertrauen entsteht durch die Begegnung der Mitarbeitenden untereinander (als Menschen) und gemeinsam gewonnene Erfahrungen. Das kann real oder virtuell sein. Werden die Begegnungen vernachlässigt, leidet irgendwann auch die Produktivität. Deshalb kann nicht genug betont werden, wie wichtig das Augenmerk auf Kultur insbesondere in hybriden Arbeitswelten ist.

 

Forschung ist nötig

Vielen Personalern fehlen aktuell sowohl eine gesicherte Datenbasis als auch Erfahrungswerte, welche Aufgaben gut im Home Office erledigt werden können. Die Gefahr besteht abermals darin, dass Kolateraleffekte wie abnehmende Identifizierung mit dem Unternehmen hierdurch vernachlässigt werden. Darüber hinaus sind eben die ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten zu differenzieren. Hier könnten Erkenntnisse der Persönlichkeitspsychologie Führungskräften bei der Einschätzung Orientierung geben.

 

Aufklärung und Rahmenbedingungen

Solange bis valide Forschungsergebnisse aus den Arbeitswissenschaften vorliegen, wird Unsicherheit überwiegen und sollte die Entscheidung nicht der Belegschaft vollständig überlassen werden. Es sollten Vorgaben gemacht werden, welche Tätigkeiten besser für das Büro geeignet sind und welche Kernthemen in Präsenz bearbeitet werden müssen.

Ist es nicht auch im Sinne der Mitarbeitenden, mit ihren Vorgesetzen zu besprechen, mit wem man zusammenarbeiten sollte und wie?

Solange wir in einer Lernphase sind, nehmen rigide Vorgaben einem Unternehmen die Chance, es auszuprobieren. Um das Vertrauen in die Selbstorganisation der Teams zu steigern, ist eine wiederkehrende gemeinsame Reflektion darüber, was gut / schlecht läuft, hilfreich. Durch den Austausch der Erfahrungen können alle lernen!

Dann kann man die Rahmenbedingungen für Home Office sukzessive immer weiter fassen und alle können von der gewonnenen Flexibilität profitieren.

 

Veränderungen für die Karriere

Während früher durchaus die Vorstellung kursierte, dass Karriere vom Home Office aus nicht möglich sei, wird sich auch das ändern. Oder ist die (Präsenz)Arbeitszeit im 21. Jahrhundert immer noch der Indikator, nach dem Erfolg beurteilt wird? Menschen, die Verantwortung übernehmen möchten, haben schon immer länger gearbeitet. Beförderung braucht Visibilität. Bei welchen Themen man sichtbar bzw. präsent sein muss, liegt im Gespür der Menschen, die an der Entwicklung ihrer professionellen Entwicklung interessiert sind. Die Wege sich für Karriere zu empfehlen, ändern sich, die Regeln bleiben dieselben.

 

Die Attraktivität als Arbeitgeber erhalten

Nachfolgend betrachten wir das Thema Arbeitgebermarke ausschließlich unter den Aspekten, die sich durch Covid / Home Office verändern.

Anfangs haben wir nach dem „warum“ für Home Office gefragt. Wir haben festgestellt, dass in hybriden Arbeitsmodellen ein Win-Win-Ergebnis möglich ist. Es ist gut, wenn Arbeitgeber auch für sich einen Gewinn darin sehen, anstatt dass sie nur aus der Einstellung handeln, es den Mitarbeitern recht zu machen. Fachkräftemangel schürt die Angst vor Mitarbeiter-Kündigungen.

Es herrscht also ein breiter Konsens, dass Unternehmen hybride Arbeitsmodelle anbieten sollten, um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben.

Die Bedeutung der Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen ist erkannt. Dann ist es eine Aufgabe für HR, das Unternehmen auch in hybriden Modellen erlebbar zu machen und soziale Interaktion zu fördern. Bewusstmachen des Mehrwertes gemeinsamen Arbeitens ist geboten.

Büros können umgestaltet werden. Weg von zugeordneten Einzelbüros hin zu „shared offices“. Attraktive Arbeitsplatzausstattung im Unternehmen und sehr gute Infrastruktur im Büro können die Mitarbeiter ins Büro locken; allerdings ist nicht davon auszugehen, dass das nachhaltig funktioniert. Mitarbeiter dürfen gute Ausstattung erwarten, wo immer sie arbeiten. So kann man sich als Arbeitgeber differenzieren!

Ein größeres Angebot an räumlichen Möglichkeiten für die Zusammenarbeit ist ein Zeichen dafür, dass Unternehmen „New Work“ ernst nehmen.

Ob zu einer Darstellung der Arbeitgebermarke mit höchstmöglicher Flexibilität zu raten ist, sei dahingestellt. Man kann und will Mitarbeitende nicht um jeden Preis gewinnen. Unternehmen benötigen Mitarbeitende, die bereit sind, sich längerfristig auf eine Zusammenarbeit einzulassen und auch dazu, ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln.

Was aber zeitgemäß und richtig erscheint, ist, auf verändernde Rollen der Mitarbeitenden (Schwangerschaft, Altenpflege, Zweitstudium, …) mit flexiblen Arbeitszeitangeboten einzugehen. Es geht darum, wertschätzende Modelle für alle Jobfamilien und Arten anzubieten – auch für Führungskräfte.

Eine Gerechtigkeitsdebatte muss wegen Home Office-Möglichkeiten bei bestimmten Jobfamilien nicht geführt werden. Und Jobprofile verändern sich im Laufe der Zeit.  

Bei den Aspekten, die man zur Aufwertung der Arbeitgebermarke nutzt, sollte man auf die Interessen und Erwartungen der Zielgruppen achten. Kostenloses Obst, Getränke, Reinigungsservice waren sicher auch vor Corona keine echten Gründe, ins Büro zu kommen. Trotzdem erzeugen sie Sympathie.

 

Fazit

Im Rahmen von Fachkräftemangel wird jedes Unternehmen die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen. Dazu gehört auch Home Office. Dabei ist im Sinne einer langfristigen Strategie auf eine gute Mitarbeiterbindung zu achten.

Die sich entwickelnden Erwartungen der Mitarbeitenden zu kennen, hilft. Leitplanken zur Orientierung erleichtern die Zusammenarbeit, weil nicht immer alles neu verhandelt werden muss. Auch die Meeting-Kultur wird sich verändern. Während es heute entweder Präsenz- oder Onlinemeetings gibt, könnte es sein, dass gemischte Meetings mit besserer Technik irgendwann zur Normalität werden.

Die Sorge um die Kultur ist verständlich. Aber: Ist damit eine echte "Kultur" gemeint oder nicht doch nur der alte Ist-Stand. Und: Kulturen verändern sich kontinuierlich und es gibt keinen Grund, eine Kultur zwanghaft bewahren zu wollen. Es geht eher um ein Umarmen von Neuem. 

 

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