Geänderte Herausforderungen bei der Suche und Auswahl von Führungskräften
Die Suche und Auswahl von Führungskräften war schon immer eine anspruchsvolle Aufgabe. Die geeigneten Personen mussten fachlich und von ihrer Branchenerfahrung her passen, sie mussten Managementkompetenz und Leadership-Skills mitbringen.
Aus unserer Headhunting-Praxis heraus zeigt es sich seit geraumer Zeit, dass sich hier in der Gewichtung dieser vier Felder (Fachliche Kompetenz / Branchenerfahrung / Managementkompetenz und Leadership) gravierende Verschiebungen einstellen. Die folgende Grafik kann dies gut veranschaulichen. Trägt man auf die X-Achse die „Fachliche Passung / Kompetenz“ und auf die Y-Achse die „Kulturelle Passung / Kompetenz“ auf, entstehen die folgenden vier Quadranten:
Geringe Ausprägung auf beiden Achsen: dies führt zu „keiner Passung“
Diese Konstellation hat negative Effekte auf Performance und Unternehmenskultur. Es besteht die Gefahr, dass zentrale Projekte scheitern, es zu Reputations- und Vertrauensverlust im Markt und negativen Kundenerlebnissen kommt und dass qualifizierte Mitarbeiter verbrannt werden oder sie das Unternehmen verlassen.
Es ist noch nicht lange her, da war dieses Feld das „klassische“ Suchfeld, das dann mit den Jahren ein wenig in Richtung der kulturellen Passung / Kompetenz angereichert wurde. Eine Besetzung von Führungspositionen mit einer Person aus diesem Feld birgt das Risiko des Scheiterns aufgrund der mangelnden Interaktionskompetenz der Führungskraft mit ihrem internen und externen Umfeld.
Hohe fachliche und hohe kulturelle Passung / Kompetenz:
Die Stecknadel im Heuhaufen:
Sich eine Idealbesetzung aus dem Feld mit jeweilig hoher Ausprägung kommend vorzustellen, ist eine gefährliche Versuchung. Hierzu lässt sich unerfahrenes Management verleiten, da dieses Suchprofil die intellektuell einfachste Lösung ist, in der Umsetzung jedoch die ungünstigste, weil schwierigste, langwierigste und damit auch teuerste Lösung. Sicher hat eine solche erfolgreiche Besetzung einen sehr positiven Impact. Aber mit diesen Konsequenzen müssen Sie in der Regel ebenfalls rechnen:
1. Enorm hohe Time-to-fill (ab Start der Suche bis Arbeitsantritt der FK) von leicht 12 Monaten, oder sogar Abbruch der erfolglosen Suche und Redesign des Suchprofils
2. Risiko, dass Kandidaten abspringen: Schon sicher geglaubte Kandidaten springen kurz vor der Unterschrift wegen besserer anderer Angebote wieder ab, dies führt zu weiteren Verzögerungen von Monaten
3. Starke Beanspruchung der Inhouse-Ressourcen im Recruiting und bei den Hiring-Managern (viele Kandidatengespräche, die nicht zum erhofften Idealergebnis führen)
4. Die Kandidaten sind sehr teuer und liegen mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich über dem angedachten Budget (sie sind gefragt, kennen ihren Marktwert und haben alternative Angebote)
5. Die Kandidaten wachsen rasch aus der Aufgabe heraus; wenn es dem Unternehmen nicht gelingt, einen interessanten und raschen Inhouse-Aufstieg zu realisieren, wird die Bleibezeit im Unternehmen gering sein (< 3 Jahre)
Das Extrem einer wirklich geringen fachlichen Passung aber sehr hoher kultureller Passung und Kompetenz führt ebenfalls zu Problemen:
Bei den Mitarbeitern stößt die Person auf zu geringe Akzeptanz, oder es bedarf einer zu langen Einarbeitung auf das für die Aufgabe notwendige fachliche Level.
Mehr Möglichkeiten durch ein "Suchfeld"
Je nach der speziellen Aufgabe ergibt sich kein „Punkt“ im Koordinatensystem für das Profil, sondern es macht Sinn, mit einem Suchfeld zu operieren. Und dieses Suchfeld verschiebt sich derzeit markant in Richtung kulturell höherer Passung / Kompetenz bei Einschränkung der fachlichen Passung.
Was sind die Gründe?
Anhand von 3 (verfremdeten) Fällen aus unseren Searchprojekten lässt sich dies gut darstellen:
Fall 1: Ein kleineres produzierendes Unternehmen (200 MA) suchte einen Entwicklungsleiter. Zwei frühere Besetzungsversuche waren im Vorfeld bereits gescheitert, beide Male wegen drastischer kultureller Divergenzen. Der eine Versuch war eine promovierte Ingenieurin und Berufseinsteigerin, die mit der Hands-on-Kultur des Unternehmens und dem rauhen Ton der Produktion nicht zurecht kam. Die zweite Besetzung war ein in einem Großkonzern sozialisierter und introvertierter Ingenieur, der stets nach doppelter Absicherung in seinen Entscheidungen suchte und deshalb in der Folge zunächst von der Mannschaft dann auch vom Management abgelehnt wurde.
Bei genauerer Prüfung der Aufgabe wurde deutlich, dass in der Position die fachliche Kompetenz nötig, aber sicher nicht außerordentlich ausgeprägt sein musste. Stattdessen wahren Führungsskills und Kommunikationsskills wichtig. Denn ein nicht unbedeutender Teil des Aufgabenspektrums lag darin, den Vertrieb in Akquisitionsgesprächen zum Kunden zu begleiten.
Fall 2: Ein mittelständisches Unternehmen (500 MA) im Bereich Geräte- und Anlagenbau hatte als strategische Neuausrichtung vor, sich global vor allem über Servicekompetenz vom Wettbewerb zu unterscheiden. Natürlich waren hier Fachkompetenz aus dem internationalen Service und konkrete Branchenerfahrung nötig. Die beiden zentralen Facetten der Persönlichkeit des neuen Service Directors jedoch waren Begeisterungsfähigkeit und Kommunikationsskills. Denn zum einen mussten die globalen Vertriebs-„Fürstentümer“ sowie die unabhängigen globalen Länderdistributoren von einem zukünftig einheitlichen Vorgehen überzeugt werden und musste zum zweiten die lokale Mannschaft am deutschen Entwicklungs- und Produktionsstandort in ihrem Mindset emotional für diese umfassende Neuausrichtung mitgenommen werden.
Fall 3: Ein traditionelles, produzierendes Unternehmen mit sehr hohen Verbleibezeiten im Management hat die Möglichkeit durch zufällige mehrfache Abgänge aus der Geschäftsführung hier nicht nur nachzubesetzen, sondern gleichzeitig auch einen gezielten kulturellen Wandel herbeizuführen. (Globaleres Denken, größere Verzahnung mit den relevanten Märkten bei Neuentwicklungen schon im Frühstadium und damit insgesamt ein neues Kunden-Mindset, Agilität und Geschwindigkeit in Entscheidungen, Verantwortungsdelegation auf viele Schultern, usw.)
Das Kandidatenprofil musste nun nicht nur spezifisch fachlich passen und direkte Branchenerfahrung mitbringen, es musste vor allem zur lokalen Unternehmenskultur passen und über besondere Skills in Führung und Coaching verfügen, um den erwünschten kulturellen Wandel des Unternehmens zu ermöglichen. Tatsächlich wurden hier in den schon weit fortgeschrittenen Auswahlgesprächen nach sorgfältiger Reflexion früher als „perfekt passend“ geltende Kandidaten dann doch nicht weiter favorisiert, weil bei ihnen Interesse und Kompetenz zur Durchführung des kulturellen Wandels nicht stark genug ausgeprägt erschienen.
Das Besetzungsprofil hatte sich – obwohl es sich um eine technische Führungsposition handelte – weit in den Bedarf der kulturellen Passung zur Führungsaufgabe und ein Stück weg von der fachlich-technischen Passung verschoben.
Unsere Schlussfolgerungen:
Die Passung von Führungskräften in die Transformationsaufgabe, die mittlerweile jede fachliche Führungsaufgabe zusätzlich begleitet, nimmt außerordentlich zu. Es muss abgesichert werden, dass die Kandidaten in die Unternehmenskultur und in die kulturellen Aspekte der spezifischen Aufgabe passen. Das ist der Nachhaltigkeitsaspekt aus Unternehmenssicht. Dr. Terhalle & Nagel setzt dazu den von uns selbst entwickelten gemischt digital / analogen Ansatz „Valuesimpact“ ein (https://www.t-n-p.de/valuesimpact/index.htm)
Aber die Sorgfalt gilt auch auf der Kandidatenseite: Die Passung zur Transformationsaufgabe ist auf Kandidatenseite das eigentliche Argument, sich für einen Wechsel und für die Aufgabe zu interessieren und zu entscheiden.
Gute, fachlich passende Führungskräfte kommen WEGEN der Transformationsaufgabe.
Dieser Aspekt rückt auf der Kandidatenseite immer mehr in den Vordergrund, die fachliche Passung demgegenüber – da sich diese Form des Wissens ohnehin immer rascher verändert – tritt einen Schritt nach hinten.