Entscheidungsdruck und Führung in unsicheren Zeiten: Wie Führungskräfte mit kognitiven Verzerrungen umgehen sollten

Entscheidungsdruck und Führung in unsicheren Zeiten: Wie Führungskräfte mit kognitiven Verzerrungen umgehen sollten

Krisen, Transformation, Disruption – Führungskräfte stehen heute unter massivem Entscheidungsdruck. Inmitten wirtschaftlicher Unsicherheiten und komplexer Dynamiken werden Weichen gestellt, deren Folgen oft weit über den Moment hinausreichen. Doch genau in diesen Situationen steigt das Risiko für Denkfehler: Kognitive Verzerrungen wie Bestätigungsfehler, übertriebene Risikovermeidung oder unrealistischer Optimismus schleichen sich unbemerkt ein – und gefährden kluge Entscheidungen.

Was viele unterschätzen: Nicht Fachwissen oder Erfahrung schützen vor diesen Fehlern, sondern die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Wer sein Denken kritisch hinterfragt, trifft fundiertere Entscheidungen – und führt resilienter. Warum metakognitive Fähigkeiten heute zur Kernkompetenz von Führungskräften gehören und wie man sie auch im Auswahlprozess erkennt, zeigt dieser Beitrag.

Entscheidungsdruck und Führung: Wirtschaftliche Unsicherheit verstärkt Denkfehler

Der Entscheidungsdruck in der Führung nimmt in wirtschaftlich unsicheren Zeiten spürbar zu. Geopolitische Krisen, instabile Lieferketten, volatile Märkte – all das fordert Führungskräfte täglich heraus. Unter Stress greifen Menschen verstärkt auf intuitive Entscheidungsstrategien zurück. Diese sogenannten kognitiven Verzerrungen sind zwar menschlich, aber gefährlich.

Laut der Verhaltensökonomen Daniel Kahneman und Amos Tversky verlassen wir uns unter Unsicherheit auf mentale Abkürzungen (Heuristiken), die zu systematischen Denkfehlern führen können – mit potenziell gravierenden Folgen für Unternehmen (Kahneman & Tversky, 1974).

Drei typische Denkfehler unter Entscheidungsdruck

1. Bestätigungsfehler (Confirmation Bias)

Führungskräfte neigen dazu, Informationen auszuwählen, die ihre Sichtweise stützen – und gegenteilige Hinweise zu ignorieren. In Zeiten hoher Unsicherheit kann dies bedeuten, dass Warnsignale übersehen oder kritische Stimmen im Team nicht gehört werden.

2. Risikovermeidung (Loss Aversion)

Laut der Prospect Theory bewerten Menschen Verluste deutlich stärker als gleich hohe Gewinne. Im Kontext von Entscheidungsdruck in der Führung führt dies oft zu übervorsichtiger Strategie: Investitionen in Innovationen bleiben aus, Change-Prozesse werden verschoben.

3. Überoptimismus (Optimism Bias)

Insbesondere erfahrene Führungskräfte überschätzen unter Druck gern ihre Fähigkeit zur Kontrolle und Problemlösung. Dieser Optimismusfehler kann dazu führen, dass Risiken verharmlost und realistische Szenarien verdrängt werden.

Entscheidungsdruck und Führung in unsicheren Zeiten: Wie Führungskräfte mit kognitiven Verzerrungen umgehen sollten

Metakognition: Die unterschätzte Leadership-Kompetenz

Die Lösung liegt in der Entwicklung metakognitiver Fähigkeiten – also der Fähigkeit, das eigene Denken zu beobachten, zu hinterfragen und systematisch zu reflektieren. Laut John H. Flavell, der den Begriff Metakognition prägte, ermöglicht diese Fähigkeit bewusste Kontrolle über kognitive Prozesse (Flavell, 1979).

Warum das für Führung so entscheidend ist:
Wer unter Entscheidungsdruck regelmäßig reflektiert, kann Denkfehler früh erkennen und korrigieren. Dies erhöht nicht nur die Qualität von Entscheidungen, sondern auch das Vertrauen im Team – weil Entscheidungen nachvollziehbarer und transparenter werden.

Reflektiertes Denken erkennen - auch im Executive Search

Im Executive Search wird zunehmend nicht nur auf fachliche Expertise oder Führungserfahrung geachtet, sondern auch auf reflektiertes Denken und metakognitive Kompetenzen. Doch wie lassen sich diese Fähigkeiten im Auswahlprozess identifizieren?

Indikatoren für reflektierte Führungspersönlichkeiten:

  • Fehlerreflexion: Können Kandidat:innen konkret Situationen beschreiben, in denen sie falsche Entscheidungen getroffen und daraus gelernt haben?
  • Ambiguitätstoleranz: Wie gehen sie mit unvollständigen Informationen oder Zielkonflikten um?
  • Feedbackverhalten: Fordern sie aktiv Rückmeldungen ein und integrieren diese in ihren Führungsstil?
  • Denkklarheit unter Druck: Bleiben sie in Stresssituationen analytisch oder verfallen sie in Aktionismus?

Durch strukturierte Interviews, situative Fallstudien und gezielte Fragen zur Selbstreflexion lässt sich dieses Potenzial erfassen – ein entscheidender Vorteil in Auswahlprozessen für Top-Positionen.

Neue Führungsmodelle: Resilienz, Vertrauen und Lernbereitschaft

Leadership im 21. Jahrhundert verlangt mehr als Effizienz und Kontrolle. In komplexen, unsicheren Umfeldern braucht es vor allem:

  • Resilienz: die Fähigkeit, auch unter Druck flexibel und lernbereit zu bleiben
  • Vertrauenskultur: Teams brauchen psychologische Sicherheit, um offen zu denken
  • Selbstreflexion: lernende Führung als zentrale Haltung

Die Harvard-Professorin Amy Edmondson betont in ihrem Buch ‚The Fearless Organization‘, dass psychologische Sicherheit ein entscheidender Faktor für Innovation und Teamleistung ist.

Gute Führung beginnt mit Selbstreflexion

Entscheidungsdruck in der Führung ist nicht per se schlecht – er kann Fokus und Handlungsenergie fördern. Gefährlich wird es, wenn Führungskräfte unter Druck unreflektiert agieren, Denkfehler nicht erkennen oder sich auf vermeintlich bewährte Muster verlassen.

Die Zukunft gehört jenen, die nicht nur entscheiden, sondern sich und ihr Denken immer wieder infrage stellen. Metakognitive Fähigkeiten, Reflexion und Feedbackbereitschaft sind daher keine „Soft Skills“, sondern knallharte Erfolgsfaktoren im Top-Management.

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